Spezielles Konzept einer Lerntherapie bei Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen.
Probleme differenzieren
Die bewusste Lenkung der Aufmerksamkeit ist kein Akt, der von selbst passiert. Auch wenn wir es oft nicht merken, wir brauchen Kraft und Energie, um gezielt aufpassen und uns auf etwas konzentrieren zu können. Ist die Energie verbraucht, können wir die Aufmerksamkeit immer weniger fokussieren, lassen uns ablenken, können wichtige Informationen nicht mehr so gut von unwichtigen herausfiltern, reagieren auf alle möglichen Signale aus der Umwelt, schließlich werden wir hibbelig und nervös, oder schalten ab. Kinder mit Teilleistungsstörungen können ihre Wahrnehmungsleistungen auch beim gewohnten Lesen, Schreiben oder Rechnen nicht unter einem kräftesparenden Routine-Modus erbringen, sie müssen sich immer so anstrengen, als ob sie etwas Neues lernten. ihre Kräfte sind also viel schneller verbraucht, als bei Nicht-Betroffenen. Kinder mit Teilleistungsstörungen zeigen dann natürlich Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwächen, obwohl sie keine Aufmerksamkeitsstörung haben. (Trotzdem kann aber zusätzlich eine Aufmerksamkeitsstörung oder eine Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung bei einer Teilleistungsstörung vorliegen.) Auch emotionale Belastungen können Defizite in Aufmerksamkeit und Konzentration verursachen.
Es muss sich also nicht immer um eine tatsächliche ADS (Aufmerksamkeitsdefizitstörung) oder um eine ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung) handeln, wenn Aufmerksamkeit und Konzentration geschwächt oder gestört sind.
Bei ADS und ADHS liegen neurophysiologische Besonderheiten des Gehirnstoffwechsels vor, die von Betroffenem zu Betroffenem unterschiedliche Schweregrade und Beeinträchtigungen aufweisen können.
ADS-Kinder fallen im schulischen Bereich spät auf, da sie sich aus der Aufmerksamkeit hinwegträumen und daher ruhig verhalten. Aber, sie zeigen auch noch nach vielen Wiederholungen Lücken im Verständnis des Unterrichtsstoffs und durchweg Leistungen unter ihrem eigentlichen Vermögen. Im häuslichen Bereich verursachen sie meist Ärger durch ihre Schussligkeit und der langwierigen Ausführung von Tätigkeiten. ADHS-Kinder entkommen den Träumereien, indem sie sich durch Aktivitäten selbst zur Wachheit stimulieren – diese meist motorischen Aktivitäten sind unbewusst und nicht über den Willen hervorgerufen. Daher nützt es nichts, ihnen zu sagen, „Sei still!“ oder „Verhalte dich ruhig!“ Nicht nur durch diese Selbststimulationen, auch durch eine mangelnde Impulskontrolle fallen diese Kinder in sozialen Gruppen, besonders in der Schule, bald auf: Sie können Regeln nur schwer akzeptieren und wenn, kaum einhalten, sie können nicht abwarten, bis sie an der Reihe sind, sie sprechen laut und viel, sie können Umweltinformationen nicht ausreichend filtern und sind hochablenkbar, sie reagieren vorschnell, handeln unvorsichtig bis riskant, sind vergesslich, unorganisiert und können nicht planen, arbeiten zu schnell und zu oberflächlich und brauchen schließlich nicht nur aufgrund der gestörten Aufmerksamkeit und Konzentration, sondern auch aufgrund des beeinflussten Arbeitsgedächtnisses, viele Wiederholungen beim Lernen.
An den Anfang jeder Lerntherapie gehört also das genaue Hinschauen, durch welche Ursachen Aufmerksamkeit und Konzentration gestört sind.
Bei Teilleistungsstörungen schließen Legasthenie- und Dyskalkulietherapie Maßnahmen zur Hebung von Aufmerksamkeit, Konzentration und Handlungsplanung mit ein.
Bei emotionalen Belastungen versteht es sich von selbst, dass man zunächst versucht, den Anlass dafür zu finden, ihn abzuschaffen, oder wenn das nicht geht, nach Möglichkeiten zu suchen, wie damit umgegangen werden kann. Hierzu kann auch eine Psychotherapie beitragen, entweder statt oder zusätzlich zu einer Lerntherapie.
In allen Fällen von ADS und ADHS stellt eine professionelle Beratung der Eltern ein wirksames Mittel dar. Dadurch kann auch geklärt werden, ob eine Lern- und oder Verhaltenstherapie in Zusammenarbeit mit den Eltern und ev. sonstigen Beteiligten sinnvoll wäre.
Bei schwereren Symptomen mit starker sozialer und familiärer Belastung sollte die Diagnose einer tatsächlich vorliegenden ADS oder ADHS in jedem Fall von einem Facharzt für Kinderpsychiatrie gestellt werden. Dann kann auch im weiteren Verlauf geklärt werden, ob die Symptome durch die individuelle Einstellung eines speziellen Medikaments nicht erheblich abgemildert werden können. Ein Facharzt wird zu einem Medikament nicht leichtfertig raten, sondern mit den Eltern diskutieren, ob die soziale Beeinträchtigung durch die Störung nicht vielleicht auf längere Sicht Folgen haben könnte, die schwerer wögen, als die befürchteten oder vermuteten Nebenwirkungen eines Medikaments. Auch im Falle einer Medikation wird der Facharzt zu weiteren Maßnahmen wie Elterntraining, Verhaltens- oder Lerntherapie oder sozialem Kompetenztraining raten. Die Medikation soll also nicht die Auseinandersetzung mit dem betroffenen Menschen ersetzen.
Konzepte für Therapie- und Fördermöglichkeiten
Soziale Auswirkungen vermindern
Impulskontrolle verbessern
Regeln einhalten Im spieltherapeutischen Bereich kann ausprobiert werden, ob man ein Spiel überhaupt spielen kann, wenn niemand sich an die ausgemachten Spielregeln hält. Ist auf diesem Weg der Wert von Spielregeln erkannt worden, kann die Regeleinhaltung zusätzlich durch kleine Belohnungen verstärkt werden. Das Ziel der spielerischen Übung ist es, den Sinn für aufgestellte Regeln zunächst auf die Struktur der Therapiestunde zu übertragen und im weiteren Verlauf auf Schule und häuslichen Bereich. Bei der Regel-Einhaltung nützt es wenig, für jedes störende Verhalten sofort eine zusätzliche Regel aufzustellen und zu erwarten, dass bei inzwischen vorhandener Einsicht alle Regeln schon unmittelbar befolgt werden können. Das Kind ist an das frühere Verhalten gewöhnt und muss die Gelegenheit haben, Fehler machen und schrittweise umlernen zu dürfen. Zudem bedarf jede aufgestellte Regel der Kontrolle, denn die Regeleinhaltung soll ja belohnt werden. Die Kontrolle gelingt daher umso besser, je einfacher die Regel ist. Das Lernen der Regeleinhaltung erfolgt daher geplant und bedarf guter Zusammenarbeit mit Schule und Elternhaus.
Eigenwahrnehmung schulen Das Kind soll sensibel dafür werden,welche „negativen“ Reaktionen es durch unüberlegtes und vorschnelles Verhalten bei anderen Menschen auslösen kann. Statt Belobigung erhält es ständig Belehrung, Kritik, Tadel oder Maßregelung. Dies erfolgt nicht absichtlich, aber tagtäglich und führt zu keiner Besserung des unerwünschten Verhaltens, sondern noch zu mehr Selbstwert-Defiziten. In der therapeutischen Beziehung und in Rollenspielen können Auslöser und Muster bestimmten Verhaltens erkannt werden.
Signale erkennen, Selbstinstruktionen nutzen Kann das Kind erkennen, in welchen Situationen es durch sein Verhalten für ihn negative Reaktionen auf sich zieht, kann geübt werden, für solche Situationen auch Auslöser und Signale zu erkennen und sich im eigenen Reagieren durch „Selbstinstruktionen“ zu bremsen. Wichtig im gesamten Umfeld ist dabei immer, dass nicht der Wert der kleinen Persönlichkeit infrage steht, sondern nur das aktuelle Verhalten.
Neue Verhaltensmuster trainieren Die Selbstinstruktion „Halt!“ oder„Stopp!“ ist ein erster Schritt aber noch nicht das Ende des Weges. Für immer wiederkehrende Situationen ist es sinnvoll, im Rollenspiel ein passendes Reaktionsmuster anzutrainieren.
Aufmerksamkeit und Konzentration erhöhen
Auch hier steht am Anfang eine „Sensibilisierung“ für jene Zeitpunkte, in denen das relevante Umgebungsgeschehen nicht mehr mitverfolgt und stattdessen inneren Impulsen oder äußeren Ablenkungen nachgegangen wird. Erst wenn das Kind spüren kann, was in solchen Momenten mit ihm geschieht, macht es Sinn, die Dauer der Konzentrations- und Aufmerksamkeitsspanne zu beobachten, entsprechende Pausen einzubauen und schließlich zu versuchen, Aufmerksamkeit und Konzentration schrittchenweise zu erhöhen. Speziell bei schriftlichen Arbeiten kann die selektive Aufmerksamkeit und die anschließende Kontrolle über die Aufgabe auch gut über das Marburger Konzentrationstraining geübt werden.
Kreativität und geistige Möglichkeiten ausschöpfen
Für ADHS-Kinder ist es besonders wichtig, die oft reich vorhandenen Ressourcen in Erfahrung zu bringen. Da sie so gut wie nie Lob erfahren, ist ein Tun mit Erfolg ausschlaggebend für ihr Selbstwert- und Fähigkeitsgefühl. Mit ganz speziellen intellektuellen Begabungen können nicht nur Leistungsdefizite im Unterricht ausgeglichen werden, sie wecken auch Interesse und heben somit die Aufmerksamkeit. Kreative und sportliche Leistungen machen Spaß und erhöhen Motivation und Anstrengungsbereitschaft.
Eine Arbeits- und Organisationsstruktur schaffen
Bei der Aufgabenbearbeitung strukturiert vorgehen
Pausen-und Motivationsmanagement Geübt wird ein Management von großen und kleinen Pausen zum Auftanken von Energie und Motivation. Wir finden heraus, wann der günstigste Zeitpunkt zum Hausaufgabenmachen ist und wieviel Zeit durchschnittlich dafür gebraucht wird. Es wird trainiert, dass täglich zum gleichen Zeitpunkt und am gleichen Platz begonnen, die vereinbarte Zeit und Arbeitsstruktur eingehalten wird. Denn auch die Abfolge der Fächer, die bearbeitet werden, ist für die Aufrechterhaltung der Motivation wichtig. So kann es für viele Kinder motivierend sein, wenn zunächst ein Fach bearbeitet wird, das Spaß macht und welches das Fähigkeitsbewusstsein hebt. Andere Kinder sind erleichtert und im Denken freier, wenn sie das belastende Fach zuerstmachen.
Materialmanagement Die Organisation des Hausaufgabenheftsund der mitgeführten Materialien (sowohl für den Unterricht als für dieHausaufgaben) kann mit „Check-Listen“ und einem Belohnungs-System unterstützt werden.
Strukturierung der einzelnen Aufgabenbarbeitung Wer nicht weiß, wo er anfangen und zuwelchem Ziel er sich hinbegeben soll, bewegt sich im Kreis. Ein geordnetes, systematisches Vorgehen erleichtert nicht nur das Lösen von Aufgaben sondern hilft auch, Wiederholungen, Korrekturen und Zeitverlust zu vermeiden. So kann zum Beispiel im Rechnen bei der Bearbeitung von Sachaufgaben die Einhaltung eines strikten Schemas auf dem Weg der Bearbeitung große Hilfe leisten.
Eine Lernstruktur schaffen Damit man sich einen bleibenden Wissensvorrat aneignen und Stress vor Proben vermeiden kann, müssen auch umfassendere Lernbereiche strukturiert werden. Als Beispiel eignet sich der Fremdspracherwerb. Wie lerne ich am effektivsten Vokabeln, wie verschaffe ich mir einen Überblick über Grammatikstrukturen? Das Kind wird darin unterstützt, seinen Wissensstand regelmäßig zu kontrollieren und in kleinen Einheiten regelmäßig aufzufrischen.
Eine Organisationsstruktur schaffen Über den schrittweisen Aufbau einer Struktur zur Aufgabenbearbeitung und einer Lernstruktur erfährt das Kind schließlich Erleichterung und Erfolg – gute Voraussetzungen, Planung und Struktur auch in anderen Bereichen als der Hausaufgabensituation anwenden zu wollen und zu können.
Fähigkeit zur Handlungsplanung und zu eigenverantwortlichem Handeln überprüfen Ein Ziel der Lerntherapie bei ADHS ist es, schnelle und unüberlegte Reaktionen stoppen zu können, eine Überlegung einsetzen zu lassen, zu welchem Ziel und Zweck ein Verhalten führen soll, einen gezielten Handlungsplan zu entwerfen, das Verhalten nach Plan auszuführen und schließlich die Ausführung kontrollieren zu können. In einer letzten Phase der Therapie kann zusammen mit dem Kind in Alltagsituationen probiert werden, ob dies schon gelingt. . |